Wärmenetze 5. Generation sind Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Forschung. Eine Auflistung einschlägiger wissenschaftlicher Publikationen finden Sie hier.
Mehr als 50 Wärmenetze 5. Generation sind in Europa bereits realisiert worden. Eine Übersicht zahlreicher Projekte finden Sie auf der interaktiven Karte.
Wärmenetze 5. Generation sind die neueste Entwicklungsstufe von klassischen Wärmenetzen. In der wissenschaftlichen Literatur sind sie unter vielen verschiedenen Bezeichnungen bekannt:
Ein Wärmenetz 5. Generation ist ein thermisches Energieversorgungsnetz, welches Wasser oder Sole als Energieträger sowie hybride Wärmeübergabestationen mit Wasser-Wasser-Wärmepumpen nutzt. Das Netz wird auf Temperaturen betrieben, die so nahe der Umgebungstemperatur des Bodens liegen, dass eine direkte Wärmeversorgung durch das Netz nicht möglich ist. Die geringen Netztemperaturen ermöglichen die direkte Nutzung von industrieller und urbaner Abwärme sowie erneuerbaren Wärmequellen mit niedrigem Exergiegehalt. Die Möglichkeit den Betrieb der Wärmepumpen in den Wärmeübergabestationen in den Gebäuden umzukehren, erlaubt es, mit demselben Rohrnetz Wärme- und Kältebedarfe von angeschlossenen Verbrauchern zu decken. Die hybriden Wärmeübergabestationen (mit integrierten Wärmepumpen) verbessern die Kopplung verschiedener Energiesektoren (Wärme/Kälte und Strom; Power-to-Heat) in einem dezentralen intelligenten Energiesystem.
Wärmenetze 4. Generation, auch oft als Wärmenetze 4.0 bezeichnet, arbeiten wie klassische Hochtemperatur-Wärmenetze. Dies bedeutet, dass sie Wärme von einer oder mehreren zentralen Erzeugern zu den Gebäuden transportieren (unidirektionale Wärmeübergabe vom Netz ans Gebäude). Sie operieren auf Temperaturniveaus, die es erlauben, die Wärme direkt zu Heizzwecken im Gebäudeenergiesystem zu nutzen. Daher werden bei Wärmenetzen 4. Generation keine Wärmepumpen in den Gebäuden installiert. Der fundamentale Unterschied von Wärmenetzen 5. Generation ist, dass die Netztemperatur für eine direkte Beheizung eines Gebäudes nicht ausreicht und daher dezentral zusätzliche Wärmepumpen im Gebäude installiert werden müssen, die die Wärme aus dem Netz auf die Vorlauftemperatur des Gebäudeenergiesystems anheben. Wärmenetze 4. Generation können aufgrund der hohen Netztemperaturen keine Kälte bereitstellen. Außerdem verwenden Wärmenetze 4. Generation gedämmte Rohre, um Wärmeverluste ans Erdreich zu minimieren. Wärmenetze 5. Generation können hingegen mit ungedämmten Rohren betrieben werden und können so außerdem das Erdreich als zusätzlichen thermischen Speicher nutzen (Demand side management). Wärmenetze können auch als Hybridvarianten ausgeführt werden. In diesem Fall sind sie eine Mischung aus einem Wärmenetz 4.0 und einem Wärmenetz 5. Generation. Dies bedeutet, dass zu einer bestimmten Jahreszeit die Netztemperaturen so hoch gewählt, dass eine direkte Beheizung von Gebäuden möglich ist. In anderen Jahreszeiten wird das Wärmenetz auf geringeren Netztemperaturen betrieben, was dann beispielsweise eine direkte Kühlung ermöglicht.
Wärmenetze können in gerichtete und ungerichtete sowie unidirektionale und bidirektionale Wärmenetze gegliedert werden. In gerichteten Netzen fließt das Wärmeträgerfluid (Wasser oder Sole) in jedem Rohrabschnitt in einer vordefinierten Richtung, also von Wärmeerzeugereinheit (Energiezentrale) zu den Wärmeabnehmern. Typischerweise handelt es sich um ein Sternnetz. In einem ungerichteten Wärmenetz kann sich die Flussrichtung umkehren. Dies kann beispielsweise in Wärmenetzen mit mehreren Erzeugereinheiten geschehen. Die Regelung und Simulation dieser Netze ist wesentlich komplexer.
Als unidirektional werden Wärmenetze bezeichnet, die lediglich Wärme (an angeschlossene Verbraucher) abgeben. Bidirektionale Wärmenetze transferieren sowohl Wärme als auch Kälte an Gebäude. Eine Versorgung von Kälte bedeutet, dass Gebäude Abwärme ins Wärmenetz integrieren (Prosumer).
Zentrale Forschungsfelder auf dem Gebiet der kalten Wärmenetze sind die Systemplanung und die Systemregelung. Insbesondere die Regelung ist herausfordernd, weil viele Komponenten (zentrale Erzeuger, wie auch dezentrale Wärmepumpen und Speicher) aufeinander abgestimmt geregelt werden müssen. Die unstetigen Flussrichtungen in den Rohrnetzen erhöhen zusätzlich die Systemkomplexität. Außerdem ist die thermische Kopplung mit dem Erdreich von großem Interesse aber bislang, zumindest in Bezug auf Wärmenetzen der 5. Generation, wenig erforscht: Das Erdreich kann als thermischer Speicher fungieren und so zur Erhöhung der Betriebsflexibilität beitragen. Bei der Planung von Wärmenetzen 5. Generation werden vermehrt Simulationsmodelle und mathematische Optimierungsmodelle entwickelt. Mit ihnen lassen sich Vor- und Nachteile verschiedener hydraulischer Verschaltungen und Systemkonfigurationen bereits in einer frühen Planungsphase untersuchen. Bei Simulationsmodellen wird vornehmlich auf die Sprache Modelica zurückgegriffen. In internationalen Kooperationen entstehen so Modelldatenbanken, wie die AixLib (RWTH Aachen) oder die Modelica Buildings library (LBNL), welche die Entwicklung von dynamischen Simulationsmodellen vorantreiben und gut nutzbare Standardmodelle öffentlich und kostenfrei zugänglich machen (open-source Gedanke).
Üblicherweise werden Wärmenetze 5. Generation auf Temperaturniveaus von 5-40°C betrieben. Bei einem Zweileiter-System ist dabei der kalte Leiter rund 5-10 Kelvin kälter als der warme Leiter. Das Temperaturniveau kann saisonal schwanken (free-floating network temperature), oder konstant gehalten werden. Letzteres wird vor allem angestrebt, wenn passive Kühlung in Gebäuden genutzt wird, welche ganzjährig Temperaturen unterhalb der Vorlauftemperatur des Kältekreises im Gebäude erfordern.
In der Wissenschaft wurden verschiedene hydraulische Konzepte von kalten Nahwärmenetzen untersucht. Verbreitet sind vor allem die sogenannten Zweileiter-Systeme. Hierbei existieren ein warmer und ein kalter Leiter, zwischen denen eine Temperaturdifferenz von üblicherweise 5-10 Kelvin vorliegt. Im Heizfall entnimmt die Wärmepumpe im Gebäude Wasser aus dem warmen Leiter, kühlt es im Verdampfer um einige Kelvin ab und speist es zurück in den kalten Leiter. Im Kühlfall entnimmt das Gebäude Wasser aus dem kalten Leiter und führt erwärmtes Wasser in den warmen Leiter zurück. Die Übertragung von Abwärme aus dem Gebäude in das Wärmenetz geschieht im Kühlfall entweder in einem Wärmeübertrager (direkte/passive Kühlung) oder durch den Einsatz einer Kompressionskältemaschine. Wenn zeitgleich Wärme und Kälte von verschiedenen Gebäuden benötigt wird, gleichen sich die Bedarfe zwischen den angeschlossenen Verbrauchern des Wärmenetzes teilweise oder vollständig aus. Für den Fall, dass entweder Wärme- oder Kältebedarfe überwiegen, muss das Wärmenetz durch eine Ausgleichseinheit (Energiezentrale) ausgeglichen werden. Der Anteil der Wärme- und Kältebedarfe, die innerhalb des kalten Wärmenetzes ausgeglichen werden können, kann mit Hilfe eines Überlappungskoeffizienten (engl. Demand Overlap Coefficient) quantifiziert werden. Bei Einleitersystemen (auch Reservoir-Wärmenetze genannt), existiert nur ein Leiter, welcher schleifenförmig alle Gebäude thermisch miteinander verbindet. Die Gebäude entnehmen in diesem Fall Wasser aus dem Einleiter kühlen es in der Wärmepumpe ab (bzw. erwärmen es im Kühlfall) und speisen es stromabwärts wieder in den Einleiter ein. Eine große zentrale Pumpe sorgt für die stetige Zirkulation des Wassers im Einleiter. Auch beim Einleitersystem sorgt eine zentrale Ausgleichseinheit dafür, dass residuale Wärme- oder Kältebedarfe ausgeglichen werden, indem sie das Wasser im Einleiter zwischen einer unteren und einer oberen Temperaturgrenze hält.
Prosumer ist ein Neologismus, der Verbraucher beschreibt, welche nicht ausschließlich Nutzenergie aus einem Wärme- oder Stromnetz beziehen, sondern auch Nutzenergie in das Netz einspeisen. Bei Stromnetzen können dies Gebäude mit großen PV-Anlagen sein. In thermischen Netzen können Gebäude mit solarthermischen Anlagen thermische Energie ins Netz einspeisen. Im Falle von Wärmenetzen 5. Generation ist es außerdem üblich, dass Prosumer-Gebäude Abwärme in das kalte Nahwärmenetz einspeisen und so andere Gebäude mit thermischer Energie versorgen.
Eine Kopplung verschiedener Energiesektoren (Strom, Wärme, Kälte, Gas) ist von entscheidender Bedeutung für die Energiewende. Überschuss an erneuerbarem Strom kann beispielsweise in anderen Energieformen umgewandelt werden, um Speicherkosten und -verluste zu verringern (Wärmespeicher sind pro kWh wesentlich kostengünstiger als Batteriesysteme). Bei der Kopplung des Stromsektors mit dem Wärmesektor spielen Wärmepumpen eine entscheidende Rolle. Anders als einfacher Widerstandsheizer erzeugen sie aus 1 kWh Strom mehrere Kilowattstunden Wärme. In kalten Nahwärmenetzen stellen Wärmepumpen das zentrale Element dar, da diese in jedem Gebäude zur Anhebung des Temperaturniveaus der Wärme installiert sind. Abhängig vom Angebot von erneuerbarem Strom können diese nicht nur den Wärmebedarf der Gebäude decken, sie können auch Flexibilität bereitstellen, insbesondere in Kombination mit dezentralen Wärmespeichern in Gebäuden. Wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht, werden die Wärmepumpen betrieben, decken dabei die Wärmebedarfe und laden gleichzeitig dezentrale Wärmespeicher. Zu Zeiten von geringem Angebot an grünem Strom werden die Wärmepumpen abgeschaltet und der Wärmebedarf wird aus den Wärmespeichern gedeckt. Diese inhärente Kopplung des Strom- und Wärmesektors ist bei herkömmlichen Wärmenetzen (Wärmenetze 4.0) nicht gegeben.
Es können verschiedene Arten von erneuerbaren Wärmequellen direkt durch das Wärmenetz eingebunden werden: Solarthermie-Module produzieren Wärme, die zum Ausgleich des Netzes im Winter genutzt werden kann. Niedertemperatur-Wärmequellen können ebenfalls direkt in das Netz eingekoppelt werden: Ein gutes Beispiel sind Abwasserwärmeübertrager. Diese werden in Abwasserkanälen installiert und entziehen dort dem Abwasserstrom Wärme. Gerade im Winter weist Abwasser vergleichsweise hohe Temperaturen (teils über 10 °C) auf. Diese Wärme kann je nach Netztemperatur direkt zur Beheizung des Netzes verwendet werden oder durch eine weitere Wärmepumpe zwischen Wärmeübertrager und Wärmenetz im Temperaturniveau angehoben werden. Besonders urbane Gebiete können von der Nähe zu Flüssen oder Meeren profitieren. So ist Fluss- oder Seewasser in vielen Städten eine gute Quelle von Niedertemperaturwärme. Zusätzlich sind diese thermischen Reservoire im Sommer geeignet, um eine effiziente und kostengünstige Kälteversorgung zu bewerkstelligen. In einigen Gebieten, z.B. in ehemaligen Kohlerevieren, stellt Gruben- oder Sümpfungswasser eine weitere erneuerbare Wärmequelle für kalte Nahwärmenetze dar.
Die allermeisten Systeme befinden sich in Europa. Vorreiter sind hier vor allem die Schweiz, Deutschland, Schweden, die Niederlande und Italien. Aber auch in Großbritannien und Frankreich werden die ersten Wärmenetze 5. Generation realisiert. Das Potential für die Technologie ist jedoch nicht auf Europa beschränkt. Gerade asiatische Städte, welche einen hohen Kühlbedarf aufweisen, sind prädestiniert, um ihre Kälteversorgung durch kalte Nahwärme effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Wärmenetze 5. Generation können hier viele dezentrale Klimaanlagen ablösen und so zu einer geräuschärmeren und optisch weniger präsenten Form der Kälteerzeugung beitragen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat mit TransUrban.NRW eines der ersten sogenannten Reallabore der Energiewende auf den Weg gebracht, welches Wärmenetze 5. Generation intensiv erforscht und im großen Maßstab in vier Städten in Nordrhein-Westfalen realisiert. Die Städte liegen in den alten Kohlerevieren in NRW und sollen demonstrieren, wie alte Energieversorgungsstrukturen in neue, innovative, umweltschonende Technologien zur Wärmeversorgung umgewandelt werden können. In den Reallaboren kommt hierbei vor allem die von E.ON Schweden entwickelte ectogrid-Technologie zum Einsatz. Im Projekt involviert ist als Forschungspartner vor allem die RWTH Aachen sowie mehrere Technologie-Start-ups.
Es gibt zahlreiche europäische Leuchtturmprojekte, in denen Wärmenetze 5. Generation errichtet werden. Diese Projekte werden oftmals wissenschaftlich begleitet und im Rahmen von öffentlichen Förderprogrammen auf nationaler oder europäischer Ebene durchgeführt. Einen Überblick über derzeitige Leuchtturmprojekte mit Wärmenetzen 5. Generation findet sich hier. Eines der ersten EU-Projekte war das Flexynets-Projekt, welches im Rahmen des Programms Horizon 2020 gefördert wurde. Es hatte zum Ziel, die Technologie von Wärmenetzen 5. Generation (5. generation district heating and cooling networks) weiterzuentwickeln. Ein aktuelles Leuchtturmprojekt ist das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Reallabor der Energiewende TransUrban.NRW, welches bis ins Jahr 2025 läuft. Hier werden unter der Projektleitung der Energieversorgers E.ON in vier Stadtquartieren in NRW ein Energiesystem 5. Generation errichtet, wobei hier die von E.ON Schweden entwickelte ectogrid-Technologie genutzt wird und in Deutschland erstmalig unter dieser Bezeichnung eingesetzt wird.
Das älteste mir bekannte Wärmenetz 5. Generation wurde in Dorsten in Nordrhein-Westfalen realisiert und entstand in den 1970er Jahren. Bereits zu einer Zeit, in der Wärmepumpen alles andere als Standard waren, entschied man sich zur Errichtung dieses Niedertemperatur-Wärmenetzes, welches als Wärmequelle Grundwasser nutzt. Nach und nach wurden Ein- und Mehrfamilienhäuser an das hydraulische Netz angeschlossen. Alle angeschlossenen Häuser sind mit einer Wärmepumpe ausgestattet, die das Temperaturniveau auf die erforderliche Vorlauftemperatur des Heizsystems erhöhen. 71 Wohngebäude mit 100 Wohneinheiten wurden an das kalte Wärmenetz angeschlossen, wobei es für die Siedlung einen Anschlusszwang gab. Neben dem Grundwasser wurde Abwärme aus der Abluftanlage des örtlichen Hallenbades in das thermische Niedertemperaturnetz eingespeist. Nach Betreiberwechseln in den letzten Jahren wurde das Netz verkleinert und modernisiert. Neue, effizientere Pumpen führten zu einer Verringerung des Strombedarfs und machen das System zukunftsfähig für die nächsten Dekaden. Ein Überblick über zahlreiche im Betrieb befindliche kalte Nahwärmenetze ist hier verfügbar.
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— Marco Wirtz (@Marco__Wirtz) September 15, 2019